Nicht mutig genug für sicheres Kreuzungsdesign?

Kinder und Erwachsene fahren mit Fahrrädern auf einem Radfahrstreifen in Mittellage zwischen Lastkraftwagen hindurch. Einer der beiden setzt zum Fahrstreifenwechsel über den Radfahrstreifen hinweg an, während die Radfahrenden im toten Winkel sind.
Mit einer spektakulären Aktion zeigte Changing Cities, der Trägerverein des Volksentscheids Fahrrad, wie gefährlich Radfahrstreifen in Mittellage sein können. Bild: Norbert Michalke/Changing Cities

Am 14. November 2024 entscheidet der Planungsausschuss des Gemeinderats über die Pläne für den Umbau der Kreuzung Kriegsstraße/Brauerstraße/Reinhold-Frank-Straße. Wir halten die vorgelegten Pläne für nicht zeitgemäß.

Vorgeschichte: Im Januar 2022 wurden Pläne für einen Umbau der Kriegsstraße zwischen Karlstor und Lessingstraße – also auch der oben genannten Kreuzung – im Planungsausschuss beschlossen. Der erste Bauabschnitt an der Hirschstraße ist mittlerweile in Bau. Für die Kreuzung Kriegsstraße/Brauerstraße/Reinhold-Frank-Straße entwarf die Stadtverwaltung zwischenzeitlich zusätzlich auf Wunsch des Planungsausschuss auch noch eine Variante als niederländische Schutzkreuzung (auch bekannt als „geschützte Kreuzung“). Sie selbst empfiehlt aber – wie andernorts in Karlsruhe praktiziert – Radfahrstreifen zwischen den Kfz-Fahrstreifen anzulegen (sogenannten Radfahrstreifen in Mittellage).

Visualisierung einer geschützten Kreuzung
Visualisierung einer geschützten Kreuzung. Bild: ADFC/Timm Schwendy

Zentraler Gegenstand der Diskussion bei der Sicherheit des Radverkehrs an Kreuzungen ist die Lösung des Konflikts zwischen rechts abbiegenden Kfz-Führenden und Radfahrenden, die gerade aus fahren. Wenn beide gleichzeitig Grün haben, müssen erstere eigentlich warten. Tun sie das nicht, kommt es regelmäßig zu Unfällen – mit bisweilen tödlichem Ausgang.

Ausschnitt aus der Entwurfszeichnung des Stadtplanungsamts für eine niederländische Kreuzungsform
Ausschnitt aus der Entwurfszeichnung des Stadtplanungsamts für eine niederländische Kreuzungsform. Bild: Stadt Karlsruhe Stadtplanungsamt
Ausschnitt aus der Entwurfszeichnung des Stadtplanungsamts für eine Kreuzung mit Radfahrstreifen in Mittellage
Ausschnitt aus der Entwurfszeichnung des Stadtplanungsamts für eine Kreuzung mit Radfahrstreifen in Mittellage. Bild: Stadt Karlsruhe Stadtplanungsamt

Der ADFC und viele Radentscheide werben für Schutzkreuzungen nach niederländischem Vorbild. Die Radwege befinden sich dort rechts von den Rechtsabbieger-Fahrstreifen. Kleine Kurvenradien für rechts abbiegende Kraftfahrzeuge sollen die Geschwindigkeiten reduzieren. Die weit abgesetzten Furten sollen die direkten Sichtbeziehungen (statt über Spiegel) verbessern. Jedoch spricht die schon mehrere Jahrzehnte alte Studienlage zur Kreuzungsgestaltung in Deutschland gegen weit abgesetzte Furten. Je weiter die Furt entfernt ist, desto gefährlicher sei es.

Sehbehindertenverbände sprechen sich gegen Schutzkreuzungen aus, da zu Fuß Gehende die Radwege ungesichert überqueren müssen.

Die Stadtverwaltung empfiehlt wegen fehlender Erfahrungen mit niederländischen Schutzkreuzungen die Variante mit Radfahrstreifen in Mittellage.

In unserer Stellungnahme (PDF) kritisieren wir die Empfehlung der Stadtverwaltung. Radfahrstreifen in Mittellage verteilen den Konflikt nur auf einen längeren Abschnitt. Kinder, Familien und Ältere werden in dieser Planung ignoriert.

Wir zeigen stattdessen folgende Alternative auf. In Ergänzung zu einer niederländischen Schutzkrezung genügt ein Ampelprogramm, das rechts abbiegende Kfz-Ströme und geradeaus fahrenden Radfahrenden nacheinander Grün gibt. Dann gibt es den Konflikt nicht mehr. In den Niederlanden ist das vielerorts Standard. In Deutschland bezeichnet das technische Regelwerk, die Richtlinien für Lichtsignalanlagen, den Rechtsabbiegerkonflikt hingegen euphemistisch als „bedingt verträglich“.

Mit getrennten Grünphasen ist es auch nicht mehr von Bedeutung, ob die Furten ein, drei oder fünf Meter von der Fahrbahn abgesetzt sind. Es bedarf lediglich separater Rechtsabbiege-Fahrstreifen in allen vier Straßen, die auf die Kreuzung zuführen. Fußgängerfurten können dann über die Radwege hinweg verlängert werden und die Belange Sehbehinderter berücksichtigt werden.

Für unkonventielle Ampelprogramme und echte Sicherheit im Straßenverkehr mangelt es im Rathaus wohl leider noch an Mut und klaren Vorgaben von oben. Der Gemeinderat hat hier die Chance voranzugehen.

Die Sitzungsvorlage mit Planzeichnungen, Sicherheitsaudits und gutachterlicher Stellungnahme ist im Ratsinformationssystem verfügbar.

Auf der Grünen Welle der CDU reiten nur Autofahrer

Die CDU-Fraktion im Gemeinderat hat einen Antrag „Grüne Welle für Karlsruhe“ gestellt, der am 14. November 2024 im Planungsausschuss beraten wird.

Sie beantragt (PDF mit Begründung):

Die Stadtverwaltung schließt sich dem Projekt „SIMON“ („Sichere Mobilität und Navigation durch vorausschauendes Risikomanagement mittels Schwarm-Intelligenz und V2X-Kommunikation“) an und ermöglicht die Implementierung der App „trafficpilot“ im Karlsruher Straßenverkehr

Die Stadtverwaltung äußert sich ihrer Stellungnahme dazu kritisch. Sie weist auf die Probleme Grüner Wellen und den Konflikt mit verkehrspolitischen Zielen hin.

Unsere Stellungnahme schließt sich der der Verwaltung an. Wir weisen darauf hin, dass CDU-Antrag bestehende Beschlüsse zur Förderung des Fuß- und Radverkehrs rückgängig und das Autofahren attraktiver machen will.

Das Einführen einer App, das an Lichtsignalanlagen Vorteile verspricht, erhöht auch ohne Nutzungspflicht die Hürden zur Teilnahme am Verkehr – insbesondere für sozial Schwächere. Die App ist ein Baustein zu einer zentralen Speicherung von Bewegungsdaten. Das Forschungsvorhaben arbeitet daher nicht an einem erreichenswerten Ziel und sollte seitens der Stadt nicht unterstützt werden.

Verbesserungsbedarf sehen wir anderswo. Beispielsweise sollten Lichtsignalanlagen noch viel häufiger bedarfsgesteuert sein, um unnötiges Warten an „leeren“ Kreuzungen zu vermeiden.

Stellungnahmen zum Planungsausschuss am 17. Oktober 2024

Am 17. Oktober 2024 tagt der Planungsausschuss der Stadt Karlsruhe. Zu mehreren Tagesordnungspunkten der öffentlichen Sitzung haben wir Stellungnahmen abgegeben.

TOP 3 Verbesserte Sicherheit auf dem Geh- und Radweg am Adenauerring zwischen Fußballstadion und Willy-Brandt-Allee

Die Fraktionen Grüne, KAL, Die Linke und Volt hatten beantragt, beim nördlichen Geh- und Radweg am Adenauerring zwischen Wildparkstadion und Willy-Brandt-Allee einen regelgerechten und sicheren Zustand herzustellen. Der Weg ist nur 2,0 m breit, Lichtmasten auf dem Weg und unmittelbar links davon parkende PKW schränken die nutzbare Breite aber ein. Dort war am Pfingstmontag ein Radfahrer mit einer Geisterradlerin kollidiert und anschließend gestorben.

Die Stadtverwaltung empfiehlt in ihrer Stellungnahme, den Antrag ohne Änderungen an der Situation vor Ort als erledigt zu betrachten. Der Weg sei nicht verbesserbar. Das Verkehrs- und Sicherheitskonzept erfordere die Parkplätze und die breite Fahrbahn. Der Unfall auf Fehlverhalten zurückzuführen.

In unserer Stellungnahme fordern wir, dass Straßen fehlerverzeihend gestaltet sein sollten. Spätestens schwere Unfälle sollten als An­lass genommen werden, alte Entscheidungen kritisch zu hinterfragen.

Die Parkplätze in Fahrtrichtung Westen werden nur an Spieltagen benötigt. Wir schlagen daher vor, die Parkplätze an Tagen ohne Spielbetrieb zu sperren. Um den tatsächlich gelebten Verkehrsverhältnissen an Spieltagen Rechnung zu tra­gen, sollte an diesen Tagen der Geh- und Radweg als reiner Gehweg dienen.

TOP 9 Konzeptbeschluss Unfallhäufungsstelle Yorckplatz

Sitzungsvorlage und Anlagen im Ratsinformationssystem

Der Kreisverkehr am Yorckplatz hat sich laut Stadtverwaltung in den letzten Jahren zur Unfallhäufungsstelle entwickelt. Die Stadtverwaltung möchte vom Planungsausschuss den Auftrag erhalten, die Planungen für den Umbau des Kreisverkehr zu starten. Die Fahrbahn solle verschmälert werden, damit Radfahrende nicht mehr im Kreisverkehr überholt und an der nächsten Ausfahrt geschnitten werden. Gerade das sei die Ursache für einen bedeutenden Teil der Unfälle.

In unserer Stellungnahme befürworten wir den Umbau und regen – mit Blick auf die Haushaltslage – an, schon im Vorgriff darauf, einige Parkplätze an den Einmündungen der Yorckstraße in den Yorckplatz, sowie eine Litfaßsäule zu entfernen.

TOP 10 Querungsstellen Fußverkehr – Prüfliste

Im Jahr 2018 beantragte die CDU-Fraktion, dass die Stadtverwaltung die Einrichtung von Zebrastreifen an diversen Straßen prüfe. Anschließend solle sie, so der damalige Antrag, „alle Schulwege und die Überquerungsstellen bei Altersheimen im Stadtgebiet auf mögliche und notwendige Überquerungshilfen in Form von Zebrastreifen“ prüfen.

Die Prüfung – ergänzt um zahlreiche Anregungen aus der Bürgerschaft und von Schulen, Kitas und Verbänden – von 104 Örtlichkeiten durch eine ämterübergreifende Projektgruppe ist abgeschlossen, wie die Stadtverwaltung in ihrer Informationsvorlage schreibt. An 50 Stellen wurden die Wünsche abgelehnt. Details können der Tabelle der Stadtverwaltung entnommen werden.

Unsere Stellungnahme kritisiert einzelne Örtlichkeiten, bei denen die Verwaltung den Wunsch nach Zebrastreifen ablehnt.

TOP 12 Vorentwurf Fortschreibung Lärmaktionsplan 4. Stufe

Im Rahmen der Lärmaktionsplanung soll der Straßenverkehrslärm in Wohngebieten durch Tempolimits oder bauliche Maßnahmen reduziert werden. Meist erfolgt das mit Tempo-30-Begrenzungen. In der 4. Stufe des Lärmaktionsplans werden weitere Straßen dafür vorgeschlagen. Die Stadtverwaltung lässt ihren Antrag, die Öffentlichkeit dazu anzuhören, im Planungsausschuss vorberaten, bevor der Gemeinderat am 22. Oktober darüber abstimmen soll. In der Georg-Friedrich-Straße in der Oststadt möchte man beispielsweise ein nächtliches Tempo 30 einführen.

Unsere Stellungnahme weist darauf hin, dass die Georg-Friedrich-Straße bereits eine Zone 30 ist und daher nicht weiter reduziert werden kann. Hat die Verwaltung hier mit veralteten Informationen gearbeitet?

Unsere Stellungnahme zur behaupteten Unzulässigkeit und Umsetzungbarkeit der Stadt

Wir haben die Kritik der Stadtverwaltung in Bezug auf die Unzulässigkeit und Unumsetzbarkeit unseres Bürgerbegehrens am Freitag in einer 15-seitigen Stellungnahme erwidert. Zusammen mit einer Anwaltskanzlei, die auch schon andere Radentscheid-Initiativen unterstützte, legten wir dar, dass der Fuß- und Radentscheid zulässig und umsetzbar ist.

Der Zentrale Juristische Dienst der Stadtverwaltung wirft uns vor, dass unser Bürgerbegehren nicht konkret genug sei. Dem widerspricht die Kanzlei in einer separaten 14-seitigen rechtlichen Stellungnahme. An ein Bürgerbegehren dürften keine höheren Anforderungen als an einen gewöhnlichen Gemeinderatsbeschluss gelegt werden. Das Karlsruher Programm für Aktive Mobilität, dessen Umsetzung von der Initiative angestrebt werde, sei noch weniger konkret.

Die Unzulässigkeit sei laut Verwaltung auch deshalb gegeben, weil man das Bürgerbegehren im geforderten Zeitraum nicht umsetzen könne.

Die Stadtverwaltung vermutet in ihrer Stellungnahme, dass unsere primäre Motivation eine gegenwärtig als zu langsam empfundene Umsetzungsgeschwindigkeit der Stadt sei. Das stimmt so nicht. Wir wollen einen konkreteren und konsequenten Umsetzungsplan sowie höhere Standards für neue Geh- und Radwege.

Die Verwaltung hält die vorgeschlagenen Maßnahmen im geforderten Zeitraum für nicht machbar. Die Stadtverwaltung kann sich eine Umsetzung in der vom Fuß- und Radentscheid vorgeschlagenen Qualität nicht vorstellen, also hat sie Gründe für eine Unzulässigkeit gesucht. Die Stadt Frankfurt am Main zeigt, wie man einen Radentscheid zügig und ohne umfangreiche Baustellen umsetzen kann. Wir empfehlen der Verwaltung eine Exkursion nach Frankfurt am Main.

Die Umsetzbarkeit ist unserer Meinung nach gegeben. Es gibt genügend Straßenkilometer im Stadtgebiet, die über ausreichend breite Straßenräume verfügen, um die geforderten Standards für Geh- und Radwege zu erfüllen. Die Zahlenangaben im Bürgerbegehren basieren auf den Ergebnissen einer Machbarkeitsuntersuchung.

Auch kritisiert der Zentrale Juristische Dienst unsere Kostenschätzung und unseren Finanzierungsvorschlag (beides ist für ein zulässiges Bürgerbegehren erforderlich) als nicht belastbar. Dabei hat die Stadtverwaltung unsere Fragen bei der Aufstellung der Kostenschätzung nicht beantwortet, obwohl sie laut § 21 Gemeindeordnung dazu verpflichtet ist.

Wer die Kosten als zu hoch kritisiert, möge eines bedenken: Unsere Kostenschätzung enthält auch Straßen, die komplett grundlegend umgebaut werden müssen. Das treibt die Kosten nach oben, kann aber nicht nur dem Fuß- und Radverkehr zugeordnet werden.

Wir bitten die Gemeinderatsfraktionen daher darum, die Abstimmung auf die Gemeinderatssitzung am 10. Oktober 2023 zu vertagen. Der Zeitraum für die Vorbereitung der Stellungnahme ist zu kurz gewesen, die Vorberatung im Hauptausschuss sei zu früh erfolgt. Den Gemeinderatsfraktionen bieten wir an, über einen besseren Alternativbeschluss zu verhandeln.

Die komplette Stellungnahme (inkl. der rechtlichen Stellungnahme der Kanzlei) kann als PDF-Datei heruntergeladen werden.